Mehr Klarheit im Dialog
- Christopher Pfeiffer
- 10. Okt. 2024
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Okt. 2024
Wie wir den Dialog nutzen können, um uns selbst und den anderen zu verstehen
Nicht alles, was wir sagen, ist immer zu 100% klar und verständlich. Vieles kann mehrfach gedeutet werden. Als Zuhörende neigen wir häufig dazu, in die unklaren Aussagen unseres Gegenübers etwas "hineinzuhören". Dies hängt in der Regel mit unseren eigenen Vorstellungen, Erwartungen und Ängsten zusammen.
Wir hören weniger das Gegenüber als uns selbst.
– Schulz von Thun
Wie wir uns für unsere eigenen Wahrnehmungsmuster sensibilisieren, haben wir in dem Beitrag "Glaub nicht alles, was du denkst" beleuchtet. Haben wir erstmal eine offene, interessierte Haltung eingenommen, sind wir bereit, in den klärenden Dialog zu treten. Doch auch hier können wir Gefahr laufen, auf unsere alten Muster hineinzufallen. Damit der klärende Dialog funktioniert, müssen wir in der Lage sein, uns klar auszudrücken und vor allem die richtigen Fragen zu stellen.
tl;dr
Sowohl Sender als auch Empfänger tragen Verantwortung für den Erfolg der Kommunikation.
Formuliere deine Botschaften klar und nimm dir Zeit, deine eigenen Motive zu hinterfragen, bevor du sprichst. Mache deine Appelle deutlich und vermeide verdeckte oder widersprüchliche Aufforderungen.
Jede Nachricht hat vier Ebenen – beschränke dich nicht nur auf den Sachinhalt, sondern beachte auch die Selbstoffenbarungs- und Beziehungsebene. Trage keine Beziehungskonflikte auf der Sachebene aus und achte besonders auf die Selbstoffenbarung in einer Nachricht.
Gezieltes Fragen ist entscheidend. Durch aktives Nachfragen und das Wiederholen unserer Auffassungen können Missverständnisse vermieden und das Gefühl von Verständnis und Aufmerksamkeit gefördert werden.
Es ist wichtig, sich der eigenen Wahrnehmungsebenen bewusst zu sein, um effektiver kommunizieren und sicherstellen zu können, dass die Botschaften richtig verstanden werden.
Die vier Ebenen der Kommunikation
– Alan Greenspan
Wie oft passiert es, dass das, was wir sagen, nicht so verstanden wird, wie wir es meinen? Wenn zwei Menschen in den Dialog treten, kommen nicht nur Worte und Fakten ins Spiel, sondern zwei individuelle Welten. Unterschiedliche Erlebnisse, Werte, soziale Prägungen und kulturelle Hintergründe treffen aufeinander. Kommunikation ist also mehr als das, was auf den ersten Blick gesagt wird.
Der Kommunikationspsychologe Schulz von Thun unterteilt diese Vielschichtigkeit der Kommunikation in vier Ebenen, aus denen jede Nachricht - sei es ein Satz, ein Wort oder eine Geste - besteht.
1. Sachinhalt
Der Sachinhalt bezieht sich auf die reine Information, die in einer Nachricht vermittelt wird. Hier steht das, was gesagt wird, im Vordergrund – objektiv und faktisch. Ein Beispiel ist die Aussage „Ich habe dich fünfmal angerufen“, die ohne Interpretation eine klare Tatsache wiedergibt.
2. Selbstoffenbarung
Jede Nachricht gibt auch etwas über den Sender preis, sei es gewollt oder ungewollt. Der Sprecher teilt indirekt Gefühle, Meinungen oder Bedürfnisse mit. Zum Beispiel kann die Aussage „Ich habe dich fünfmal angerufen“ auch zeigen: "Mir ist es wichtig, dich zu erreichen". Diese Seite der Kommunikation offenbart also Ich-Botschaften.
3. Beziehung
Die Beziehungsseite einer Nachricht vermittelt zweierlei Dinge: sie sendet sowohl Du-als auch Wir-Botschaften. Der Tonfall, die Wortwahl und nonverbale Signale zeigen, wie der Sender den Empfänger einschätzt oder welche Sicht er auf die Beziehung hat. Eine Aussage wie „Ich habe dich fünfmal angerufen“ könnte etwa die Annahme ausdrücken, dass der Sender dem Empfänger nicht zuverlässig zu sein. Auf der anderen Seite beinhaltet die Frage die implizite Beziehungsbotschaft: „Wir sollten öfter miteinander sprechen.“
4. Appell
Der Appell ist die Aufforderung oder der Wunsch, der hinter einer Nachricht steht. Der Sender möchte, dass der Empfänger in bestimmter Weise handelt, denkt oder fühlt. Beispielsweise steckt hinter der Aussage „Ich habe dich fünfmal angerufen“ die implizite Aufforderung, der Empfänger solle sich melden. Oft ist der Appell nicht direkt ausgesprochen, aber dennoch klar in der Nachricht erkennbar.
Werden die Botschaften vom Empfänger unterschiedlich interpretiert, können Konflikte entstehen, wie im Beispiel „Es zieht!“. Auch wenn Sachinhalt und Appell klar sind und vom Empfänger angenommen werden, kann es sein, dass der scharfe Ton auf der Beziehungsebene stört. Wenn wir in solchen Fällen unsere verschiedenen inneren Reaktionen nicht sortieren, können wir auch nach außen hin nicht klar reagieren.
Um Missverständnisse zu vermeiden, müssen wir als Sender alle vier Ebenen bewusst einsetzen. Sich nur auf die Sachebene zu beschränken und die vermeintlich "unsachlichen" Aspekte der Selbstoffenbarung und Beziehungsgestaltung zu unterdrücken, führt dazu, dass wir viel Energie darauf verschwenden, diese Aspekte geheim zu halten, und uns weiter von einer offenen und klärenden Auseinandersetzung wegbewegen.
Auch als Empfänger sind wir hier in der Verantwortung. Als Empfänger sollten wir versuchen, die unterschiedlichen Ebenen der Nachricht bewusst wahrzunehmen und - implizit oder explizit - zur Sprache zu bringen. Nur so kann ein Dialog gelingen, bei dem beide Seiten gehört und verstanden werden. Und das geht am besten, indem wir fragen.
Das Sesamstraßenprinzip: Wer nicht fragt, bleibt dumm
Wer? Wie? Was?
– Sesamstraße
Ein oft übersehener, aber essenzieller Teil der Kommunikation ist das Fragen. Indem wir fragen, können wir uns über die Botschaften auf den vier Ebenen Klarheit verschaffen. Durch gezieltes Nachfragen können wir nicht nur Missverständnisse vermeiden, sondern auch unserem Gesprächspartner das Gefühl geben, dass wir wirklich zuhören und ihn verstehen wollen.
Um gezielte Fragen stellen zu können, ist es neben der Kenntnis über die vier Ebenen auch wichtig, zu wissen, auf welchem "Ohr" wir Nachrichten tendenziell empfangen. Manche Menschen nehmen den Sachinhalt einer Aussage stärker wahr, während andere eher auf der Beziehungsebene "hören", während die anderen Ebenen ausgeblendet werden. Wer weiß, welchen Ebenen wir unverhältnismäßig viel und welchen zu wenig Aufmerksamkeit schenken, ist in der Lage, gezielt nachzufragen.
Das Sach-Ohr
Menschen mit einem stark ausgeprägten Sach-Ohr konzentrieren sich hauptsächlich auf den reinen Informationsgehalt einer Nachricht. Diese Herangehensweise kann problematisch sein, wenn das eigentliche Problem auf der Beziehungsebene liegt. Liegt das Problem auf der Beziehungsebene, tun wir uns oft schwer, einen inhaltlichen Vorschlag anzunehmen. Andersherum haben wir schnell den Verdacht, dass eine Meinungsverschiedenheit nicht inhaltlich begründet ist, sondern an der problematischen Beziehung liegt.
Anstatt zu argumentieren, wieso man nicht an das Telefon gegangen ist, könnte man dem Sachinhalt zustimmen, und klarstellen, wie man selbst die Beziehung wahrnimmt.
Das Beziehungs-Ohr
Das Beziehungs-Ohr reagiert besonders sensibel auf die Beziehung zwischen Sender und Empfänger. Menschen mit einem stark ausgeprägten Beziehungs-Ohr neigen dazu, auch in neutralen Aussagen eine persönliche Stellungnahme zu erkennen. Sie fühlen sich oft schnell angegriffen oder kritisiert, selbst wenn dies nicht beabsichtigt war. Ist jemand wütend, fühlen sie sich sofort beschuldigt, wenn jemand lacht, glauben sie, dass über sie gelacht wird.
Es fällt uns oft schwer, zwischen Beziehungs- und Selbstoffenbarungsebene zu unterscheiden. Geht die Person nicht ans Telefon, weil sie genug von mir hat, oder weil sie ihre Ruhe braucht?
Das Selbstoffenbarungs-Ohr
Ein gut entwickeltes Selbstoffenbarungs-Ohr konzentriert sich darauf, was die Nachricht über den Sender aussagt. Diese Perspektive kann besonders hilfreich sein, wenn der Empfänger emotionale oder kritische Botschaften erhält. Indem der Empfänger erkennt, dass eine Nachricht mehr über den Zustand des Senders als über ihn selbst aussagt, kann er gelassener reagieren. Diese Herangehensweise fördert Verständnis und reduziert das Risiko, sich unnötig angegriffen zu fühlen.
Wichtig ist hier eine respektvolle Grundeinstellung, um die Emotionen und Bedürfnisse unseres Gegenübers nicht als "sein Problem" abzustempeln und offen für die Beziehungspflege zu sein.
Das Appell-Ohr
Menschen mit einem stark ausgeprägten Appell-Ohr reagieren besonders sensibel auf versteckte oder unausgesprochene Aufforderungen in einer Nachricht. Sie versuchen häufig, den Erwartungen anderer zu entsprechen, oft auf Kosten ihrer eigenen Bedürfnisse. Ein überentwickeltes Appell-Ohr kann dazu führen, dass sie sich manipuliert fühlen oder nicht mehr wahrnehmen, was sie selbst wollen.
Es ist wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Erwartungen anderer zu finden, indem man sich emanzipiert und seine Bedürfnisse auf allen Ebenen zum Ausdruck bringt.
Das Appell-Ohr ist außerdem überaus nützlich, um die häufig versteckten Absichten hinter Aussagen zu erkennen und sich vor Manipulation zu schützen.
Unsere Kommunikation verläuft reibungsloser, wenn wir uns immer wieder versichern, ob wir richtig gehört bzw. auf dem richtigen Ohr gehört haben. Dabei hilft uns v.a. das Nachfragen und Wiederholen dessen, was unser Gegenüber gesagt hat. Wenn wir nicht sicher sind, wie wir eine Aussage verstehen sollen, ist es sinnvoll nachzufragen! Dadurch klären wir nicht nur die Situation, sondern ermuntern unser Gegenüber auch, seine Botschaft eindeutiger zu formulieren.
Selbsttest
Ganz konkret
Hier sind einige Vorschläge, wie du auf jeder Ebene nachfragen kannst:
Sachinhalt
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles behalten konnte. Können Sie mir die wichtigsten Punkte noch einmal zusammenfassen?"
"Habe ich richtig verstanden, dass...?"
"Welche relevanten Informationen gibt es noch zu diesem Thema?"
Selbstoffenbarung
"Das muss sich ... anfühlen, nicht wahr?"
"Was bedeutet das für Sie persönlich?"
"Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Hinsicht gemacht?"
Beziehung
"Kann es sein, dass Sie mich als ... wahrnehmen?"
"Welche Erwartungen haben Sie an mich in dieser Situation?"
"Wie können wir gemeinsam an dieser Sache arbeiten?"
Appell
"Was wünschen Sie sich konkret von mir?"
"Welche Handlungen erwarten Sie als nächstes?"
"Wie kann ich Sie am besten unterstützen?"
Allgemeine Tipps
Höre aktiv zu und zeige Interesse an den Antworten.
Formuliere deine Fragen möglichst offen und ohne Wertung.
Fasse gelegentlich deine Auffassung zusammen, um sicherzustellen, dass du alles richtig verstanden hast.
Sei bereit, auch selbst Klarheit zu schaffen, indem du deine eigenen Gedanken und Gefühle ausdrückst.
Zeit für Klartext
Das Schuldgefühl hindert uns daran, die Dinge klar zu sehen.
– Doris May Lessing
Nachdem wir uns über unsere Hörgewohnheiten klar geworden sind und gelernt haben, wie wir gezielte Fragen stellen, stellt sich uns die nächste Herausforderung. Wie führen wir ein außer Kontrolle geratenes Gespräch wieder auf fruchtbaren Boden?
Nicht immer entsteht Streit, wenn wir uns darin unterscheiden, was wir sagen. Meistens scheitert der Dialog daran, wie wir es sagen. Wie wir uns dafür sensibilisieren, weniger über Schuld und vergangene Fehler zu streiten, und den Fokus geschickt wieder darauf lenken, was hier und jetzt von Bedeutung ist, erkläre ich in meinem Blog-Beitrag "Zeit für Klartext".
Fazit
In der Kommunikation ist es entscheidend, sich der Mehrdeutigkeit unserer Worte bewusst zu sein und die Verantwortung für eine klare Verständigung zu übernehmen. Missverständnisse entstehen oft aus unklaren Aussagen und unseren eigenen Wahrnehmungsmustern. Um klärende Dialoge zu fördern, müssen wir bereit sein, unsere Motive zu hinterfragen und die richtigen Fragen zu stellen.
Indem wir uns unserer eigenen Wahrnehmungsebenen bewusst werden und gezielt auf die vier Ebenen der Kommunikation achten, schaffen wir eine Grundlage für effektive und klare Kommunikation. Nur so können wir sicherstellen, dass unsere Botschaften ankommen und ein fruchtbarer Dialog entsteht.
Auf welchem Ohr hörst du am meisten? Mit welchen Hör-Typen hast du die größten Herausforderungen? Und wie gehst du damit um? Lass es mich wissen und teile deine Erfahrungen.
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René Borbonus - Klarheit
Schulz von Thun - Miteinander Reden
Dr. Felix Frei - Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun







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